Dossier: Baustelle Bildung – Folge #5

Verkehrte Seiten. Journalisten stellen Fragen. Aber wie reagieren Medienvertreter, wenn sie in die Rolle des Gefragten schlüpfen?


Die Journalistin Julia Wenzel
Julia Wenzel: "Der Kindergarten legt den Grundstein zur Bildungskarriere. Der Bundesländer-Fleckerlteppich ist nicht haltbar und nicht zeitgemäß." (© Die Presse)

Julia Wenzel ist eine der nominierten „30 unter 30“, der besten Nachwuchs-Journalisten Österreichs. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft und Romanistik packte sie das Schreibfieber. Die Jungjournalistin berichtet für Die Presse und ist für den Bereich Bildung und Innenpolitik zuständig. WirtschaftDirekt wollte wissen, was diese beiden Ressorts miteinander zu tun haben und wie sie den Alltag der Berichterstatterin prägen …

Was sind Ihre Stärken und Schwächen als Journalistin?

Es ist unerlässlich, mit Menschen eine aufrichtige Art der Kommunikation aufzubauen, bei der sie sich wohlfühlen und ernstgenommen werden. Empathie wirkt und das merkt auch das Gegenüber. Ich denke, eine Stärke ist ebenso meine Flexibilität. Die Aktualität ist sehr schnelllebig und auf die soll man auch reagieren können. Oft muss man kurz vor Redaktionsschluss eine ganze Story umbauen. Eine Schwäche, die Kehrseite der Flexibilität, entsteht sicherlich durch den Zeitdruck: Ich bin froh, dass es ein sehr gutes Lektorat bei der Presse gibt.

Was zeichnet qualitativ hochwertigen Journalismus aus?

Jeder, der sich als hochwertiger Journalist definiert, sollte jeden Tag aufs Neue reflektieren. Man sollte sich der Verantwortung seines Berufes bewusst sein. Es ist ein Handwerk, dass man ernstnehmen muss. Objektivität, Genauigkeit und alle konträren Seiten anhören, sind ein Muss. Sich von seiner „Twitter“-Bubble leiten lassen, ist eher kontraproduktiv. Man sollte nicht Wohlfühljournalismus betreiben, sondern auch gegen Widerstände recherchieren und schreiben.

„Bildung ist der Schlüssel zu gesellschaftlichem Zusammenleben“

Warum sollte man für guten Journalismus bezahlen? Und warum sollte man Geld in Bildung investieren?

Was nichts kostet, ist nichts wert. Jede Zeitung ist ein privates Unternehmen und jeder Mitarbeiter kostet Geld. Eine gute Leistung soll entsprechend honoriert werden. In Österreich wurde in den letzten 20 Jahren – in der Zeit der Digitalisierung – verabsäumt, den Lesern zu vermitteln, dass auch digitaler Journalismus einen Wert hat. Ob digital oder analog: Der Journalist, der dahintersteht, ist derselbe, dafür muss ein Bewusstsein geschaffen werden.

Bildung ist der Schlüssel zu gesellschaftlichem Zusammenleben. Wie Friedrich Ebert schon zu sagen pflegte: „Demokratie braucht Demokraten.“ Die Aufrechterhaltung der Grundordnung ist nur möglich, wenn Menschen mit einem gewissen Maß an Bildung heranwachsen. Früher waren seriöse Medien die Gatekeeper. Bei der Informationsflut, auch Fake News, werden die Menschen heutzutage von allen Seiten bombardiert. Die großen Medienhäuser können dabei nicht mehr Gatekeeper sein. Da kommt es auf jeden einzelnen an, die Quellen und den Wahrheitsgehalt zu hinterfragen. Das wiederum ist vom Bildungsgrad abhängig.

Welchen Eindruck konnten Sie bis jetzt vom österreichischen Bildungswesen sammeln?

Einerseits besteht ein Eindruck, den ich als Konsumentin dieses Systems genossen habe und andererseits als externe Beobachterin. Als Konsument ist man eher dem System ausgeliefert und denkt sich, dass gewisse Strukturen wie vor 350 Jahren gestaltet sind. Das macht wütend und man spürt zugleich die Ohnmacht, nichts ändern zu können. In meiner journalistischen Tätigkeit schreibe ich über Bildung und dadurch kommt man unweigerlich mit dem politischen Aspekt in Berührung.

Bildungspolitik muss revolutioniert werden

Das Bildungssystem steckt in zahlreichen Ländern in der Krise. Experten beklagen, dass Lerninhalte an Schulen und Universitäten nicht in der Praxis gebraucht werden. Was muss in Österreich geändert werden?

Wenn man die politische Seite kennt, beginnt man zu verstehen, warum Änderungen nicht leicht sind. Es braucht meines Erachtens eine Reform, wenn nicht sogar eine Revolution in der Bildungspolitik. Der Bereich muss lebensnaher werden. Die 50-Minuten-Einheiten sind aus der Zeit gefallen, vernetzter Unterricht ist zielführender. Wenn z.B. eine Epoche in Geschichte vermittelt wird, sollte in Deutsch parallel dieselbe Epoche literarisch behandelt werden. Das ist vielfach nicht der Fall. Schule muss interdisziplinärer werden, aber auch digitaler. Und da sind auch die Lehrenden gefragt, digitale Kompetenz mitzunehmen. Entweder sollten sie diese auf der Universität erlangen oder durch Weiterbildungskurse. Auch brauchen wir dringend Experten aus der Praxis, die in die Schule kommen. Es kann nicht sein, dass ein Lehrer lebenslang denselben Beruf ausübt, ohne realitätsnahe Kompetenzen mitzubringen. Ich denke, dass die skandinavischen Länder ein gutes Modell sind. Wir brauchen eine Modernisierung.

Wie definieren Sie österreichischen Föderalismus im Bezug auf Schule?

Ich habe unlängst eine Geschichte über den Kindergarten während der Pandemie geschrieben. Die Pandemie drückt den Finger in genau diese Wunde. Der Föderalismus ist der Grund, warum sich der Staat entschuldigen muss. Er ist ineffizient und intransparent. Bildung hängt von neun Landesfürsten ab, die einen internen politischen Wettstreit führen. Das ist nicht zielführend. Wahlkämpfe zum Beispiel bringen alles zum Stillstand. In dieser Phase wird absolut nichts umgesetzt oder nur sehr zögerlich. Das österreichische Bildungssystem war weltweit eines der besten – und wo stehen wir heute? Mittlerweile ist im Mainstream angekommen, dass elementare Bildung keine Pflege- oder Betreuungspolitik, sondern Bildungspolitik ist. Das sollte zentralistisch und nicht von diversen gefärbten Bildungsdirektionen geleitet werden. Der Kindergarten legt den Grundstein zur ganzen Bildungskarriere. Der Bundesländer-Fleckerlteppich ist nicht haltbar und nicht zeitgemäß. Der Föderalismus ist hinderlich in Fragen der Effizienz.

Mit welchen Problemen sind junge Menschen im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Ressourcen konfrontiert?

Bildung ist eine Frage der Herkunft, nach wie vor wird sie vererbt. Kinder sollten dieselben Start-Chancen haben. Es wird auf Ganztagesschulen hinauslaufen. Sei es aus mangelnden Deutschkenntnissen oder auch aus Zeitmangel durch die Berufstätigkeit beider Elternteile: Eltern sind, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr in der Lage, die Hausaufgaben der Kinder zuhause zu kontrollieren.

Haben Sie einen Tipp für junge Menschen, die Ihren Beruf erlernen möchten?

Man sollte breit aufgestellt sein. Allgemeinwissen ist unerlässlich. Neugierde, mehr wissen zu wollen, hinter die Kulissen zu schauen und Fragen stellen. Wenn man interessiert ist an dem was man macht, dann macht man es auch gut. Man soll Dinge ausprobieren – ohne Angst vor dem Scheitern. Scheitern wird man oft, aber das gehört dazu. Ça ira, tu verras.

Schnelle Fragen – schnelle Antworten

  • Erste Reihe oder letzte Bank? Erste Reihe
  • Print oder digital? Digital
  • Zeitung oder Fernsehen? Zeitung 
  • Tablet oder Tafel? Tafel – weil sie größer ist und ich langsam schlecht sehe 😉
  • Wann kommt Ihr erstes Buch heraus? Wenn alle meine Geschichten ein Buch füllen. Mal sehen, ob das jemals der Fall ist …
  • Stadt oder Land? Stadt
  • Entschuldigen muss sich Vater Staat, weil … er es in der Pandemie nicht zur Genüge schafft, dass er transparent ist und die Menschen ernstnimmt. 
  • Schule müsste … Menschen zu eigenständigen, selbstdenkenden und mündigen Bürgern erziehen.
  • Die Schulstrategie der Regierung während Corona in einem WortBemüht.

Das Dossier Baustelle Bildung soll Denkanstöße bieten, Menschen verschiedener Professionen zu Wort kommen lassen und zur Diskussion anregen. Reaktionen und Kommentare nehmen wir gerne unter redaktion@wirtschaftdirekt.at entgegen. (amg)