#femalebusiness: „Schöne Dinge entstehen oft aus Schwierigkeiten“

„Om, Oida!“ lautet der Titel von Eva Karels neuem Buch. Im Interview mit WirtschaftDirekt erzählt die Wienerin, die eigentlich buddhistische Nonne werden wollte, wie sie zwischen vier Berufen und Familie jongliert, warum sie eine lineare Karriere mit „inbrünstiger Missachtung“ ausgeschlagen hat und was die Offenlegung des eigenen Kuddelmuddels bringt.


Eva Karel © Karin Hackl
Eva Karel © Karin Hackl

„Auf einem Bein kann man nicht stehen“, sagt man. Aus beruflicher Perspektive stimmt das allerdings bei den wenigsten. Anders bei Eva Karel: Die Autorin, Yogalehrerin, Schreibtrainerin und Malerin aus Wien erzählt in einem inspirierenden Gespräch, wie sie das alles unter einen Hut bringt, wie sie mit Zweifel und Überforderung umgeht und was sie angehenden Yogatrainer/innen in ihrem neuen Buch „Om, Oida! 2“ mit auf den Weg gibt.

Wie kam es zu den vielfältigen Standbeinen?

Durch inbrünstige Missachtung jeglicher Predigten, die mir meine Lehrer*innen in der Handelsakademie einzutrichtern versucht haben. Statt einen lückenlosen, für Arbeitgeber angeblich attraktiven Lebenslauf anzupeilen, habe ich nach der Matura zwei Jahre Reisen eingeschoben. Nicht aus Inspiration, sondern weil ich so fertig und desorientiert war. Schöne Dinge entstehen ja oft aus Schwierigkeiten. Statt dann etwas wirtschaftlich Verwertbares zu studieren, habe ich eine brotlose, aber für mich sehr interessante Geisteswissenschaft absolviert. Mich interessieren verschiedene Dinge, ich mag nicht 40 Stunden dasselbe tun. Also unterrichte ich jetzt an der Uni, halte aber auch Yogakurse, schreibe Bücher und male. Ich habe das Gefühl, ich kenne das Scheitern, das Hadern und das Fürchten so gut – darum kann ich Menschen gut beim Entwickeln begleiten. Ich bin hauptsächlich damit beschäftigt, Leute dazu anzustiften, sich etwas zu trauen.

Wie gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag?

Wenn ich nicht gerade im Lockdown mit meinen zwei Kindern im Homeschooling- und Homeoffice-Quirks hocke, unterrichte ich ein paar Vormittage an der Uni, ansonsten treibe ich in meinem Atelier mein Unwesen. Die Nachmittage verbringe ich mit meinen Kindern. Das geht sich aus, weil ich dafür zwischendurch ganze Wochenendblöcke unterrichte. Meistens finde ich mich gegen acht Uhr Früh im Atelier ein. Das teile ich mir mit zwei anderen Künstlerinnen. Ich beginne meistens mit freiem Schreiben, um meinen Kopf zu sortieren und eine Struktur bzw. Reihenfolge auszutüfteln. Ich glaube, ich schaffe deshalb so viele verschiedene Dinge, weil ich viel schreibend nachdenke und immer Babyschritte erledige.

Aber niemand ist immer motiviert – wie treiben Sie sich selbst an?

Wenn mich Prokrastination und Widerstand plätten, rede ich mir gut zu und erinnere ich mich daran, wie es sein wird, wenn ich mein neues Buch in Händen halte. Wie ich mich freuen werde, wie befriedigend es jedes Mal wieder für mich ist, für Komplexes Worte gefunden zu haben. Ich becirce mich, statt mich dauern mit dem Mühsal zu beschäftigen. Sonst freut mich ja nix, sonst funktioniere ich nur. Manchmal gebe ich vormittags auch Schreibberatungen im Einzelsetting. Da kommen z. B. unglückliche Masterstudierende zu mir.

Am frühen Nachmittag hole ich meine Kinder ab, habe aber grundsätzlich immer etwas zu Schreiben mit dabei, weil die besten Ideen ja kommen, wenn man sich gerade nicht bemüht. Wenn man sich gerade nicht aktiv in sein Projekt einmischt – z. B. beim Spazierengehen, beim Kochen oder im Halbschlaf. Deshalb ist mein natürliches Habitat mit Notizblöcken gepflastert. Meine Bücher habe ich hauptsächlich in Mini-Fragmenten landen und dann irgendwann puzzlesteinartig zusammenfließen lassen.

Und wie bringt man das alles als Alleinerziehende unter einen Hut?

Schreibend! Frust, Überforderung, Fluchen – alles bringe ich zu Papier. Und meine Kinder wissen, dass sie mich zwischendurch in Ruhe lassen müssen. „Ich halte jetzt eine Vorlesung, bitte zwei Stunden nicht ins Wohnzimmer kommen, ois kloa?“ – „Ois kloaaaaa!“

Sie sind jetzt elf und acht und ich lebe seit sieben Jahren getrennt von ihrem Vater. Wir haben also ausgiebig Übung als Trio. Meine Kinder haben jede Woche einen fixen Papa-Tag und verbringen jedes zweite Wochenende bei ihm. Das heißt, ich weiß, wann meine Pausen daherkommen. Da bin ich „intakten Familien“ gegenüber vielleicht sogar im Vorteil. Weil ich mich zwischendurch tagelang komplett auf meine Arbeit konzentrieren kann. Ich leite auch eine Ausbildung für Yogalehrende, da unterrichte ich ein Wochenende pro Monat, wenn die Kinder sowieso beim Papa sind. Dafür nehme ich mir während der Woche dann mehr Zeit – außer ich vergesse versehentlich darauf. Außerdem hole ich mir Hilfe, wenn mir die Sicherungen durchbrennen. Dann schreibt meine Atelierkollegin den Aufsatz mit meinem Sohn, meine Mutter bekocht uns, meine beste Freundin steht parat. Sie alle fungieren als meine Pit-Crew. Als Herde, die mich auffängt, wenn ich gestolpert bin. Denn wir stolpern nun mal und Perfektion gibt’s beim Menschsein nicht. Ich finde es sehr gesund, ehrlich zu bleiben, Überforderung nicht runterzuwürgen. Außerdem habe ich eine gute Therapeutin.

Was geben Sie Yogalehrenden im neu erschienenen Buch „Om, Oida! 2“ mit auf den Weg?

Dass Authentizität, Herzlichkeit, Schmäh und Freundlichkeit prachtvolle Kernkompetenzen sind. Imperfektion ist kollegial. Kein So-tun-als-ob. Keine esoterische Inszenierung. Außerdem: Dass eine Dehnung dann gesund ist, wenn sie sich nach herzhaftem Gähnen anfühlt, fernab von Schmerz. Dass wir uns in nichts hineinzwingen müssen, sondern es um ein gemütliches, innerliches „Entwurschteln“ geht. Alles Weitere findet ihr in „Om, Oida 2! Yoga lehren ohne Maskerade“. Der nächste Lehrgang startet übrigens im Herbst 2021.

Selbstzweifel und Scheitern: Woher nehmen Sie den Mut, darüber zu schreiben?

Vor etwa zwölf Jahren hat mir jemand das Buch „Operating Instructions“ in die Hand gedrückt. Da war ich gerade erstmals schwanger. In dem Buch schreibt die Autorin Anne Lamott über ihr erstes Jahr als alleinerziehende Mama mit Baby. Dann habe ich gleich noch „Bird by Bird“ von ihr gelesen und dann war es endgültig um mich geschehen – in positiver Hinsicht. Ich konnte überhaupt nicht fassen, wie ehrlich diese Ikone all ihre Abgründe mit unfassbar viel Humor offenlegte. Und interessanterweise habe ich gemerkt: Ihr Offenlegen löst bei mir keinerlei Herabschauen aus – im Gegenteil! Vielmehr hat sie in mir das Gefühl geweckt, dass ich vermutlich ganz schön viel schaffen kann, wenn ich beginne, herumzuprobieren. Selbstsicherheit ist dabei keine Requisite. Dieses Offenlegen des eigenen Kuddelmuddels macht mich ja eher zugänglich! Wer braucht schon abgehobene, unerreichbare Lehrende? Eben.

©Karin Hackl

Über Eva Karel:

Eva Karel wollte einmal unbedingt buddhistische Nonne werden, nahm jedoch bald angesichts der strengen Sitzmeditation Reißaus. Stattdessen ließ sie sich vor bald 20 Jahren zur Yogalehrerin ausbilden und kehrte schließlich nach Wien zurück. Nachdem sie sich einige Jahre mit verbissenen Selbstverwirklichungsambitionen herumgeplagt hatte, dämmerte ihr langsam, wie Yoga praktiziert werden könnte, ohne sich vor lauter Dogmen den Zahnschmelz wegzuknirschen. Es geht doch tatsächlich auch mit Humor, improvisiert und menschlich.
Heute treibt sie als Mitglied des Künstlerinnenkollektivs „Neigungsgruppe Schabernack“ im Atelier Brutstätte ihr Unwesen. Ursprünglich stammt sie aus Waidhofen/Ybbs in Niederösterreich.