Zweiter Weltkrieg: Anstieg bei Vermisstensuche

Noch ein unerwarteter Corona-Effekt: Das Rote Kreuz meldet fast doppelt so viele Suchdienst-Anfragen wie in den letzten Jahren. Viele nützen die Zeit, um ungeklärten Familien-Schicksalen nachzugehen.


Jede Stunde können durchschnittlich zwei Schicksale geklärt werden (© Österreichisches Rotes Kreuz/Kellner Holly Thomas)

Der Suchdienst gehört zu den ältesten Aufgaben des Roten Kreuzes: Seit mehr als 150 Jahren unterstützt die Organisation mit ihrem internationalen Netzwerk Menschen dabei, vermisste Angehörige zu finden. Hunderttausende Familien suchen weltweit Personen, zu denen sie aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen oder durch Migration den Kontakt verloren haben und deren Verbleib unklar ist.

„Nicht zu wissen, was mit Angehörigen passiert ist, reißt ein großes Loch in Familien. Die quälende Ungewissheit überdauert sogar Jahrzehnte und Generationen“, sagt Claire Schocher-Döring, Leiterin des Suchdienstes Rotes Kreuz.

Covid kurbelt Auseinandersetzung mit Vergangenheit an

Jedes Jahr werden rund 500 Suchanträge beim österreichischen Suchdienst gestellt. Zwei Drittel der Anfragen betreffen üblicherweise aktuelle Fälle, ein Drittel vergangene Konflikte – 2020 war es umgekehrt. „Viele haben die Zeit während der Pandemie genutzt, um ungeklärte Schicksale in der eigenen Familiengeschichte aufzuklären“, sagt Schocher-Döring.

Jede Stunde kann mithilfe des internationalen Rotkreuz-Netzwerks der Aufenthalt beziehungsweise das Schicksal von zwei vermissten Personen geklärt werden.

„Wie ein verlorener Puzzlestein“

Ein Beispiel ist der Fall des Niederösterreichers Sebastian Dumforth, der im Dezember einen Suchantrag beim Roten Kreuz stellte. Sein Großvater war nie aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt, die Familie wusste nicht, was passiert war. „Mein Vater hat seinen Vater nie kennengelernt. Eine Taschenuhr, Fotos und ein Brief ist alles, was ihm geblieben ist. Das war immer Thema in unserer Familie, wie eine offene Wunde“, so der 41-Jährige.

Mithilfe des Suchdiensts erfuhr er, dass sein Großvater Ende März 1945 in Danzig in sowjetische Gefangenschaft geriet. Wenige Monate später, am 30. Jänner 1946, verstarb Friedrich Dumforth an Unterernährung in einem Kriegsgefangenenlager in Sibirien.

„Das ist wie ein verlorener Puzzlestein, den wir lange gesucht haben. Meine Familie hat jetzt endlich Gewissheit, was mit meinem Großvater passiert ist. Wir wissen, woran er gestorben ist. Wo er begraben wurde. Für meinen Vater ist das unbeschreiblich viel wert“, sagt Dumforth.