Was in Österreich als „nicht normal“ gilt

Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage der Tageszeitung STANDARD befragte Österreicherinnen und Österreicher in mehreren Kategorien was sie als „normal“ oder als „nicht normal“ wahrnehmen. Grund dieser Befragung war die vorangegangene Debatte der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), die genau diese Fragestellung in den Raum warf.


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ÖVP-Landeshauptfrau tritt Debatte los

In einem Gastkommentar im Juli von Mikl-Leitner im STANDARD schrieb die Landeshauptfrau darüber, was in Österreich als „normal“ und was als „nicht normal“ gelte.

„Es ist eine seltsame Entwicklung in unserem Land, wenn die breite Mehrheit der Bevölkerung laufend mit erhobenem Zeigefinger ermahnt wird, während Einzelne tun und lassen können, was sie wollen. Es ist eine seltsame Entwicklung, wenn genau jener ‚Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten‘, von dem gestern auf großer Bühne die Rede war, auf ebendieser Bühne selbsterfüllend fortgesetzt wird,“ so Johanna Mike-Leitner.

Die Meinungen zu diesem Statement waren sehr gespalten und führten innerhalb Österreichs zu einer Debatte. Aus diesem Grund entschied sich der STANDARD dieser Fragestellung auf den Grund zu gehen und befragte 805 Wahlberechtigte, wer nach dem eigenen Empfinden als „normale“ Österreicherin oder Österreicher wahrgenommen wird.

69 Prozent sehen sich als „normal“

Die Ausgangsfrage von Market, dem durchführenden Meinungsforschungsinstitut, lautet: „In den letzten Wochen ist immer wieder diskutiert worden, was die Menschen in Österreich als ‚normal‘ empfinden und was nicht. Wenn Sie zunächst an sich selbst denken: Würden Sie sich selbst als einen für österreichische Verhältnisse ‚normalen‘ Menschen bezeichnen oder glauben Sie, dass Sie selbst nicht so ganz zu den für österreichischen Verhältnisse ‚normalen‘ Menschen gehören?“

69 Prozent der Befragten sehen sich selbst als „normal“, 19 Prozent würden sich selbst nicht als „normal“ definieren. Besonders auffällig: Junge Menschen, Selbstständige und Grüne Wählerinnen und Wähler sehen sich verhältnismäßig außerhalb der Norm. Jeder siebte Anhänger von ÖVP und FPÖ rechnet sich selbst zu dem „nicht normalen“ Teil der Bevölkerung.

Befragung in 36 Kategorien – „normal“ oder „nicht normal“?

Die Umfrageteilnehmerinnen und Teilnehmer beantworteten Fragen aus 36 Kategorien.  Spannende Ergebnisse lieferte die Kategorie „zwei Männer erziehen ein Kind“: Alleinerzieherinnen werden mit 83 Prozent als weitestgehend „normal“ angesehen, während Alleinerzieher hier nur auf 69 Prozent kommen. Für 16 Prozent der Befragten ist dies allerdings nicht die Norm. Bei gleichgeschlechtlichen Partnern sieht das Meinungsbild schon deutlich anders aus.

„Und wenn zwei Frauen oder zwei Männer gemeinsam aufziehen, dann geht die Zustimmung deutlich auf 56 Prozent beziehungsweise 52 Prozent zurück.“

Davis Pfarrhofer, Market-Wahlforscher

Generell erachten 37 Prozent der Befragten dies als „nicht normal“, bei FPÖ-Sympathisantinnen und Sympathisanten steigt die Ablehnung sogar auf 60 Prozent. Während junge Befragte, als auch Grünen- und SPÖ-Wählerinnen und Wähler dies deutlich mehr tolerieren und als „normal“ labeln würden.
 
Außerdem scheint die Toleranz bei lesbischen Paaren die Kinder großziehen höher (56% „normal“, 32% „nicht normal‘) als bei schwulen Paaren (52% „normal“, 37% „nicht normal“) zu sein. Auch wenn die Prozentsätze sich nicht fundamental unterscheiden, liegt ein Unterschied in der Wahrnehmung der Probandinnen und Probanden vor. Personen, die sich als nicht-binär definieren, also sich weder zum weiblichen noch männlichen Geschlecht zuordnen, werden von jedem zweiten Befragten als „nicht normal“ wahrgenommen. (30% „normal“, 50% „nicht normal“)

Klimakleber ähnlich unbeliebt wie Autoraser und Blaumacher

Mit 72 Prozent und als nicht „normal“ gelabelt werden Klimakleber. Ähnlich hoch ist die Zustimmung bei Autorasern, besonders Anhängerinnen und Anhänger der ÖVP, Neos und der FPÖ, als auch der ältere Teil der Befragten sehen dies als nicht „normal“ an. Genauso „unnormal“ gelten Menschen, die sich nicht um Arbeit bemühen oder besonders häufig Krankheiten vortäuschen und demnach öfter im Krankenstand sind.

Als wiederum „normal“ gelten Menschen, die eine Behinderung haben oder besonders religiös sind.

Politischer Extremismus erhält deutliche Ablehnung

69 Prozent der Befragten lehnt politischen Extremismus in jeder Form ab, demnach werden extreme politische Ansichten als nicht „normal“ empfunden. Diese Meinung zieht sich bis auf wenige Ausnahmen durch alle Wählerschaften der jeweiligen Parteien durch. Unter FPÖ-Wählerinnen und Wähler zeigt allerdings jede und jeder vierte Verständnis für politischen Extremismus. Die geringste Zustimmung kommt von Anhängerinnen und Anhängern der ÖVP und Grünen.
 
Als außerhalb der Norm werden Menschen empfunden, die sich als Marxisten und Nationalisten beschreiben, oder generell das politische System ablehnen. Die freiheitliche Wählerschaft haben hier noch am meisten Verständnis – in diesem Punkt sind sich Teile der FPÖ und KPÖ einig.

Gendern: nach wie vor umstritten

Gesellschaftlich betrachtet ist das Thema Gendern allgemein stark umstritten. Innerhalb der Befragung gab jede zweite Person an, dass es als „nicht normal“ angesehen wird, wenn beim Schreiben geschlechtergerechte Sprache verwendet wird.
 
Deutlich ist auch, dass es hier einen Unterschied zwischen den Altersgruppen der Teilnehmenden als auch ihrer Parteizugehörigkeit gibt. Menschen über 30 Jahre lehnen das Gendern beim Sprechen mehrheitlich ab, während die jüngere Generation, also GenZ, dies als eher „normal“ ansieht. Ebenso empfinden Rot-Grün Wählerinnen und Wähler dies als mehrheitlich „normal“.
 
Zudem geben die Ergebnisse Aufschluss darüber, dass Menschen, die sich selbst als eher „nicht normal“ definieren, einen deutlich höheren Zuspruch gegenüber dem Gendern aussprechen als Menschen, die sich als eher „normal“ definieren. Das Geschlecht der Befragten hinsichtlich pro oder contra Gendern ergab keinen signifikanten Unterschied. Nach dieser Umfrage ist es den weiblichen Teilnehmerinnen nicht signifikant wichtiger, dass gendert wird.
 
Generell zeigt diese Umfrage, dass Normalität stets mit dem subjektiven Empfinden der befragten Personen zusammenhängt. Demnach ist es auch unmöglich die eine Normalität festzulegen. Dennoch ist stark zu hinterfragen, inwiefern dies überhaupt wünschenswert ist, denn durch die Diversität der Gesellschaft wird Wachstum ermöglicht, an dem wir alle profitieren.

Der STANDARD Artikel mit allen Zahlen und Ergebnissen in voller Länge.