Whistleblowing: Riesenchance statt Denunziantenmotor

Österreich hat akuten Aufholbedarf bei der Information und Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie, zeigt eine Expertendiskussion.


Whistleblowing Experten bei der Diskussion
Gottfried Berger, Fiona Springer, Stephanie Propst (v.l.): Vertrauen als Basis des Gelingens für Whistleblowing-Tools (© Institut für Interne Revision)

Bereits 2019 hat die EU die Whistleblower-Richtlinie – gedacht zum „Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ – erlassen. Am 17. Dezember 2021 endet die Frist für die Umsetzung der EU-Direktive in nationales Recht. Ab dann müssen Unternehmen ab 250 Mitarbeitern ein Hinweisgebersystem installiert haben, eine schrittweise Ausweitung auf kleinere Unternehmen und Gemeinden wird folgen.

Doch wie weit ist die Umsetzung in Österreich? Was genau bedeutet die Richtlinie für heimische Unternehmen und Institutionen? Und: Welche Chancen, aber auch Herausforderungen bergen Whistleblowing-Tools? Zu diesen Fragen diskutierte eine hochkarätige ExpertInnen-Runde auf Einladung des Instituts für Interne Revision Österreich.

Kurz vor zwölf: Aufholbedarf bei Umsetzung und Information

Knapp drei Wochen vor Fristende gibt es in Österreich bisher keinen offiziellen Begutachtungsentwurf. Dazu Stephanie Propst, Expertin für Arbeit, Soziales und Gesundheit in der Industriellenvereinigung: „Eine Umsetzung bis 17. Dezember wird sich wohl nicht ausgehen.“ Insbesondere da es noch eine Begutachtungsfrist geben wird und danach erst der parlamentarische Prozess eingeleitet wird, werde sich das vermutlich auch bis Jahresende nicht mehr ausgehen. Man werde Übergangsfristen treffen müssen.

Optimistischer zeigt sich Rechtsanwalt und Compliance-Spezialist Alexander Petsche (Baker McKenzie). Zwar seien noch einige Punkte offen, der Entwurf sei aber weit gediehen. „Dass er bis zum 17.12. beschlossen wird, wage ich zu bezweifeln, aber er sollte zumindest in den Nationalrat gelangen.“ Er gibt jedenfalls Entwarnung für alle, die noch kein Hinweisgebersystem installiert haben: „Es gibt keine direkten Sanktionen, etwa in Form von Bußgeldern. Unternehmen sollen motiviert werden, wirksame und vertrauenswürdige Whistleblowing-Systeme zu implementieren. Die Richtlinie sieht vor, dass der internen Meldung Priorität eingeräumt wird. Wenn der Hinweis direkt an die Strafverfolgungsbehörden oder an die Medien geht, ist das wegen schlechter Publicity eine indirekte Sanktion.“

Gottfried Berger, Unternehmensberater und Vorstandsvorsitzender des Instituts für Interne Revision, sieht jedenfalls akuten Handlungsbedarf, auch bei der Aufklärung: „Zu viele Unternehmen haben nicht die nötige Awareness und wissen noch nicht, was auf sie zukommt. Zum einen, weil es die gesetzliche Grundlage noch nicht gibt, zum anderen, weil sie nicht wissen, wie sie das System implementieren sollen.“

Großes Potenzial bei Korruptionsbekämpfung

„Transparenz und Korruptionsbekämpfung sind in den letzten Jahren immer stärker in den Fokus gerückt und man merkt, dass sich die Einstellung zu diesen Themen ändert. Ich denke, wir sind derzeit auf einem guten Weg, denn es gibt eine Vielzahl an Instrumenten und Bewegungen, die in diese Richtung wirken. Whistleblowing hat das Potenzial, massiv zu mehr Transparenz, Vertrauen und Ehrlichkeit in unserer Gesellschaft und im wirtschaftlichen Umfeld beizutragen“, so Berger weiter.

Christina Jilek, eine der 12 ProponentInnen des Antikorruptionsvolksbegehrens und frühere Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwältin, sieht dies ähnlich. Whistleblowing könne in zweierlei Hinsicht gegen Korruption wirken: „Einerseits präventiv – denn Transparenz ist der größte Feind der Korruption und Whistleblowing ein weiterer Schritt in Richtung Transparenz. Andererseits in der Aufklärung – denn gerade im Bereich der Korruption und Wirtschaftskriminalität ist man häufig auf die Informationen von Insidern angewiesen. Diese müssen ein geschütztes System mit ausreichend Anreizen vorfinden, um ihr Wissen zu teilen und den Stein der Strafverfolgung ins Rollen zu bringen.“

Weit gediehene Gesetzesentwürfe und Diskussionen über einen Kulturwandel kennt Josef Barth, Experte für Transparenz & Informationspolitik, zur Genüge. „Das reicht nicht. Transparenz ist nicht Pathologie, sondern Akutmedizin: Sie ist nur sinnvoll, wenn man die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt hat. Deshalb ist es wichtig, dass es Menschen und Systeme gibt, die rechtzeitig auf Missstände hinweisen.“ Whistleblowing sei ein gutes Tool, um einen Prozess in Richtung mehr Informationsfreiheit anzustoßen. Die Politik sei jetzt in der Pflicht und müsse Verantwortung übernehmen.

Whistleblowing als Krisenprophylaxe

Das Thema Hinweisgebersysteme ist bereits in den Betrieben angekommen, auch die Unternehmen haben Interesse daran zu wissen, wenn etwas vorgefallen ist, berichtet Stephanie Propst. „Es gibt schon jetzt gut funktionierende, zentral eingerichtete Hinweisgebersysteme in den Unternehmen. Es ist daher wichtig sicherzustellen, dass bestehende Systeme auch weiterhin verwendet werden dürfen.“

Der wichtigste Aspekt, damit interne Meldesysteme auch angenommen werden, ist Vertrauen. Das bestätigt auch Fiona Springer, Whistleblowing-Expertin der Finanzmarktaufsicht (FMA), die bereits seit fast acht Jahren sehr erfolgreich ein Hinweisgebersystem betreibt. „Das Vertrauen der Mitarbeiter in ein internes Hinweisgebersystem und die damit verknüpften Prozesse ist essenziell, sonst wenden sich Hinweisgeber nach extern, etwa an die Medien.“ Um dieses Vertrauen zu gewinnen, müsse zunächst garantiert werden, dass Hinweisgeber anonym bleiben und nicht technisch ausgeforscht werden können. Es brauche zudem das Bekenntnis des Unternehmens, dass Hinweise ernstgenommen werden – zum eigenen Vorteil: „Whistleblowing ist eine Chance für Unternehmen, Missstände rechtzeitig aufzudecken und Probleme selbst zu lösen. Wenn Mitarbeiter intern einen Hinweis geben, ist das auch ein Commitment, das Unternehmen in der Öffentlichkeit vor Schaden zu bewahren.“

Richtige Umsetzung schützt vor Denunziantentum

Auch Tipps aus der Praxis wurden im Rahmen der Diskussion an die rund 150 Online-Teilnehmer weitergegeben. „Man sollte auf jeden Fall in ein gutes System investieren. Es muss Kommunikation, Datenschutz, Anonymität und Transparenz sicherstellen, manipulationssicher sein, Zugriffsrechte und Löschprozesse steuern, nachweisen, wann und wo Kontakt aufgenommen wurde – und dies im Ernstfall auch vor Gericht dokumentieren können. Eine Lösung, die dies alles kann, schafft Vertrauen“, rät Gottfried Berger.

Zudem sollten im Vorfeld die Zuständigkeiten geklärt werden – denn Hinweise können Korruption ebenso wie Mobbing oder Arbeitsrecht betreffen. Prädestiniert als Erstanlaufstelle sind laut den Experten die Interne Revision oder auch Compliance-Abteilungen. Beide seien darin geübt, Hinweisen professionell nachzugehen, diese aufzuarbeiten und könnten Meldungen zielgerichtet kanalisieren. Auch die Bildung von Gremien oder das Outsourcen an objektive Spezialisten sei empfehlenswert.

Für Unternehmen, die befürchten, dass Whistleblowing dem Denunziantentum Vorschub leistet, hat Fiona Springer praktische Tipps, um missbräuchlicher Verwendung vorzubeugen: „Erstens muss man den Meldegegenstand klar beschreiben und aufzeigen, welche Informationen nützlich sind. Zweitens müssen Hinweisgeber aufgeklärt werden, wie und wann sie geschützt sind. Denn vorsätzlich falsche Meldungen können auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.“ In diesem Sinne muss man auch den Schutz derer sicherstellen, die vom Hinweis betroffen sind. „Auch ein im Nachhinein entkräfteter Vorwurf hinterlässt Spuren“, hält Springer fest. „Sind diese Punkte berücksichtigt, Prozesse transparent und steht die Führungsetage hinter dem Angebot, muss man sich um missbräuchliche Verwendung nicht sorgen.“

Neu gegründete „GRC Experts“ bieten Unterstützung

Die Expertenplattform „GRC Experts | Powered by Institut für Interne Revision“ bietet Unterstützung bei der Implementierung und beim Betrieb von Whistleblowing-Systemen. Zum Einsatz kommt eine cloudbasierte Web-Applikation „made in Austria“, die absolute Anonymität gewährleistet und rund um die Uhr verfügbar ist. Das Leistungsportfolio reicht von der Beratung über die individualisierte Implementierung der Applikation nebst Einschulung bis hin zum laufenden Management (inkl. Monitoring und Reporting) und optionalen Leistungen wie juristischer Beratung oder Sonderuntersuchungen. Für nähere Informationen kontaktieren Sie bitte thomas.schwalb@internerevision.at.