Sideletter: Rechts-Dreher oder probates Mittel?

Es gibt viele Gründe, warum Nebenvereinbarungen zu Hauptverträgen getroffen werden. Aber wie seriös und rechtlich haltbar sind diese Sideletter?


Gruppenfoto der Sideletter-Expert:innen
v. l. (Valerie Eccli): Nikolaus Arnold (ARNOLD Rechtsanwälte), Ulrich Torggler (Universität Wien), Susanne Kalss (WU Wien), Elke Napokoj (bpv Hügel Rechtsanwälte), Christoph Diregger (DSC Rechtsanwälte), Georg Eckert (WU Wien)

In der unternehmerischen Praxis ist er weit verbreitet: der sogenannte Sideletter. Man versteht darunter Nebenvereinbarungen, die Hauptverträge ersetzen, ergänzen oder auch abändern. Oft werden darin Vereinbarungen festgehalten, die aus diversen Gründen nicht öffentlich bekannt werden sollen. Wohl nicht zuletzt deshalb hat der Sideletter in den vergangenen Monaten für Debatten auf der heimischen Politbühne gesorgt.

Eine Diskussion, die nun auch beim 10. Wiener Unternehmensrechtstag aufgegriffen wurde: Die von der B&C Privatstiftung initiierte Veranstaltung widmete sich der aktuellen Thematik. Rund 90 Rechtsexperten diskutierten Chancen und Risiken der Nebenvereinbarung – mit Fokus auf Gesellschafts- und Stiftungsrecht.

Ein Sideletter ist „per se nichts Böses“

Die grundsätzliche Kontroverse brachten eingangs die beiden Tagungsleiter auf den Punkt: „Ein Sideletter ist per se nichts Böses. Er regelt Rechte und Pflichten außerhalb des Gesellschaftsvertrags und modifiziert in der Regel die Beteiligung und den Einfluss in der Gesellschaft. Damit wird der wichtige – nicht sichtbare – Teil der Regelungen für eine Gesellschaft und deren Gesellschafter deutlich“, erläutert Susanne Kalss, Leiterin des Instituts für Unternehmensrecht an der WU Wien.

Allerdings, so Ulrich Torggler, Leiter des Instituts für Unternehmens- und Wirtschaftsrecht am Juridicum der Universität Wien, sei der Einsatz eines Sideletters nicht ohne Risiko: „Es ist sorgfältig zu prüfen, ob mit ihm die mit dem Agreement insgesamt beabsichtigten Ziele auch tatsächlich erreicht und durchgesetzt werden können.“

Beleuchtet wurden in weiterer Folge häufige Anwendungsformen des Sideletters in der Wirtschaft.

Praxisfall 1: Beteiligungsvertrag bei Start-ups

Elke Napokoj, Rechtsanwältin und Partnerin bei bpv Hügel Rechtsanwälte, ging auf den vielfach im Start-up-Bereich angewandten Sideletter, den Beteiligungsvertrag, ein. Dieser regelt vor allem die Beteiligung und die Rechte von Investoren.

Die Lehre, so Napokoj, gehe von der Zulässigkeit solcher Regelungen aus. Teils werde aber eine sachliche Rechtfertigung gerade bezüglich der Hinauskündigung gefordert. Eine Bindung der Gründer sei für den Erfolg des Start-ups wesentlich, argumentierte Napokoj. Sie verwies aber auch auf die Gefahr der Sittenwidrigkeit von Vesting-Klauseln, wenn etwa der Abfindungspreis unter dem Kaufpreis der Gründer liegt.

Praxisfall 2: Stiftungszusatzurkunde

In Stiftungszusatzurkunden werden meist die Begünstigten (und die Höhe der Begünstigung), die konkrete Gestaltung der Vermögensverwaltung sowie die Vergütung von Vorstandsmitgliedern und sonstigen Organmitgliedern von Stiftungen geregelt. Sie können, so Nikolaus Arnold (ARNOLD Rechtsanwälte), nur errichtet werden, wenn in der Stiftungsurkunde ein Hinweis oder Vorbehalt dazu enthalten ist. Sonst ist die Zusatzurkunde grundsätzlich nicht wirksam, sofern sie nicht umgedeutet werden kann.

80 Prozent der Privatstiftungen verfügen in Österreich über eine Stiftungszusatzurkunde, bei drei Prozent findet sich im Firmenbuch der Hinweis auf mehrere Zusatzurkunden. Bestellungskompetenzen und -modalitäten sowie Sonderrechte auf das Vorstandsmandat gehören dabei in die Stiftungsurkunde und können nicht in der Zusatzurkunde geregelt werden. Aber: Alles, was in der Stiftungszusatzurkunde geregelt werden kann, kann auch in der Stiftungsurkunde geregelt werden – aber nicht umgekehrt, erläuterte Arnold.

Praxisfall 3: Syndikatsvertrag – der häufigste Sideletter


Der Syndikatsvertrag ist die wichtigste und am weitesten verbreitete Nebenvereinbarung im Wirtschaftsleben. Sie wird neben dem Gesellschaftsvertrag als eigener Vertrag abgeschlossen. Diese Art des Sideletters findet sich in Familiengesellschaften, Joint Ventures, bei öffentlichen Eigentümern, aber auch bei börsennotierten Gesellschaften.

Der Syndikatsvertrag normiert u. a. die Vorabstimmung der Gesellschafter für die Stimmabgabe in einer Hauptversammlung oder Generalversammlung, typischerweise auch Besetzungsrechte für Organe (Aufsichtsrat, Geschäftsführung) sowie die Regelungen über die Anteilsübertragung, häufig auch über Finanzierung und Unternehmensziele. Er dient weiters dazu, für die jeweilige Gesellschaft passgenaue Regelungen zu finden, was das Aktiengesetz den Gesellschaftern nicht gestattet.

Wie Christoph Diregger (DSC Rechtsanwälte) aufzeigte, sind Nominierungs- und Zustimmungsvorbehalte aber riskant, weil die Leistungsklagen (Zustimmung oder Unterlassung) in der Regel zu spät kommen. Gesetzwidrig gefasste Beschlüsse oder Kapitalmaßnahmen seien meist unumkehrbar, auch alternative Rechtsbehelfe wirken nur eingeschränkt. Diregger empfiehlt daher, möglichst viel im Gesellschaftervertrag zu behandeln.