Der Mangel an Fachkräften und Nachwuchstalenten ist längst in aller Munde – dennoch wird das Problem immer größer. Insbesondere im IT-Sektor geht die Schere zwischen Angebot und Nachfrage immer weiter auf, mittlerweile ist die Personalfrage aber in fast allen Branchen und auf allen Ebenen evident. Und die Pandemie hat dieses Problem weiter beschleunigt.
Diverse Studien meißeln die Herausforderung, die zunehmend eine Bedrohung für Unternehmen darstellt, in Zahlen: Unter anderem hat StepStone erst unlängst eine Analyse zum Fachkräfte-Mangel veröffentlicht. Und im „Emerging Risks Monitor Report“ (Gartner, 2022) stuften 78 Prozent der befragten Führungskräfte die Talentesuche nach der Pandemie als größtes Risiko für Unternehmen ein. Auch der aktuelle Bericht „Risk in Focus 2022“, der gemeinsam von den Instituten für Interne Revision in Österreich und weiteren elf europäischen Ländern sowie dem Dachverband ECIIA erstellt wurde, kommt zu diesem Schluss: 40 Prozent aller Revisionsleiter in Europa zählen Humankapital, Diversität und Talentemanagement zu den größten Risiken in diesem Jahr.
Fehlende Fachkräfte als Existenzbedrohung
Gottfried Berger, Vorstandsvorsitzender des Instituts für Interne Revision Österreich: „Know-how-Verlust durch hohe Fluktuation und ein Mangel an qualifizierten Mitarbeitern können nicht nur ein Hemmschuh für das Wachstum von Unternehmen, sondern mitunter sogar ein existenzielles Risiko sein. Auch die Interne Revision ist nicht immun gegen dieses Problem, sie nimmt aber zugleich eine Schlüsselrolle ein, um aus der Fachkräfte-Krise eine Chance zu machen. Denn sie kann Risiken bezüglich Humankapital rechtzeitig aufzeigen, als Schnittstelle zwischen Abteilungen wie HR, Marketing und IT das Management entsprechend beraten und Pläne zur Durchführbarkeit und Zielerreichung erstellen.“
Ein österreichisches Vorzeigebeispiel, das auch in „Risk in Focus“ angeführt wird, ist die Mondi Group. Sie hat einen Zehn-Jahres-Plan für die Mitarbeiter- und Talente-Entwicklung erstellt. „Wir prüfen unsere Ausbildung und Kompetenzentwicklung, um sicherzustellen, dass unsere Mitarbeiter:innen langfristig bei uns beschäftigt sind. Wir arbeiten intensiv daran, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das Diversität und Integration sowie Gesundheit und psychisches Wohlbefinden stärker in den Vordergrund stellt. Diese Maßnahmen werden laufend überwacht und gemessen“, so Ulrich Weber, Revisionsleiter des heimischen Papier- und Verpackungsherstellers.
Digital-Wissen und Soft Skills gefragter denn je
Wurden IT-Fachkenntnisse früher vor allem in einschlägigen Funktionen und Sektoren benötigt, kommt spätestens seit der Pandemie kaum noch jemand um dieses Know-how herum: Es gilt, neue digitale Werkzeuge – von Big-Data-Systemen bis hin zu Künstlicher Intelligenz – zu beherrschen.
David Bichler, Leiter Interne Revision der Erste Group: „Die traditionelle Trennung zwischen IT und anderen Funktionen wird in naher Zukunft obsolet sein. Wir können weder Personen mit IT-Kenntnissen einstellen, die keine Ahnung vom Geschäft haben, noch umgekehrt. Jeder muss sowohl sein Fach als auch Technologie verstehen, denn wir brauchen beides ständig. Deshalb konkurrieren wir auch mit anderen Unternehmen und in allen Bereichen um Talente in der Internen Revision. Die Kosten für diese Talente steigen ständig – insbesondere, wenn es um IT-Fähigkeiten geht.“
Die in Zukunft meistgefragten Fähigkeiten werden laut „Risk in Focus“ zudem jene sein, die den Wandel eines Unternehmens unterstützen – und das sind vielfach Soft Skills wie Problemlösungskompetenz, Kreativität oder Selbstmanagement. „Viele dieser Fähigkeiten haben weniger mit der Ausbildung als vielmehr mit der Persönlichkeit zu tun. Führungskräfte müssen sich fragen, wie man diese Menschen künftig besser identifizieren kann“, so Bichler.
Revisions-Nachwuchs entscheidend für Unternehmenssicherheit
Gemäß internationalen Normen sind Revisionsleiter (CAEs) ausdrücklich dafür verantwortlich, dass ihre Ressourcen „angemessen und ausreichend“ sind, um die Aufgaben der Internen Revision zu erfüllen. Gibt es nicht genügend Revisoren, ist dies zugleich ein großes Risiko für Unternehmen und Organisationen – denn dann kann das nötige und von Stakeholdern gewünschte Maß an Sicherheit in Bezug auf geschäftskritische Risiken nicht gewährleistet werden.
„Diese Tatsache untermauert unsere Forderung nach einer personellen Stärkung der Internen Revision“, betont Berger vom IIA Austria. „Wir brauchen verpflichtend einen Vollzeit-Revisor pro 500 Mitarbeitern – und das ist das absolute Minimum, um Unternehmen vor Risiken schützen zu können.“
Zugleich kündigt das Institut für Interne Revision eine Informations- und Nachwuchsoffensive an. Denn um personelle Ressourcen sichern, Fachkräfte aufbauen und den Talentepool erweitern zu können, muss der Beruf potenziellen Mitarbeitern bekannt sein und attraktiv erscheinen – nicht nur bei jungen Talenten, sondern auch und gerade bei Fachkräften, die ihn noch nie in Erwägung gezogen haben. „Wenn die Menschen nicht wissen, was die Interne Revision tut und warum, dann werden sie sich auch nicht für diese Laufbahn interessieren oder sich bewerben. Deshalb starten wir als Institut noch in diesem Jahr eine Informations- und Nachwuchsoffensive“, so Berger.
Der komplette Bericht „Risk in Focus 2022“ ist hier abrufbar.