SOS! Diagnose: Shiny Object Syndrom

Das Streben nach Neuem ist grundsätzlich etwas Gutes. Es kann aber auch zu einem frustrierenden Teufelskreis werden, wenn man nie mit dem zufrieden ist, was man gerade angefangen / erreicht / gekauft hat. Wir haben das Shiny Object Syndrom unter die Lupe genommen – erkennen Sie sich wieder?


Von einem Objekt der Begierde zum nächsten zu stürzen, kann auch frustrieren (© Rocapurpura/Pixabay)

Gerade erst hat man sich dieses brandneue, schlicht geniale Notebook gegönnt (schließlich war ja vom Weihnachtsgeld noch was übrig). Und das hat man ja auch wirklich gebraucht; wie soll man sonst im Home-Office ordentlich arbeiten.

Aber seit dem Online-Geschenke-Shopping taucht plötzlich auf jeder Website wie von Zauberhand dieses Smartphone auf. Als wüssten die diversen Algorithmen, dass das eigene schon ein wenig vorsintflutlich ist (es hat ja auch schon 16 Monate auf dem Buckel) und langsam Macken entwickelt. Ein Wink des Schicksals. Gesagt, bestellt. Man fiebert dem Paketmann entgegen, reißt ungeduldig die Verpackung auf, freut sich wie ein Schneekönig und stürzt sich sofort auf das Objekt der Begierde – bis einen kurz darauf der nächste heiße Scheiß wie ein Magnet anzieht.

Es geht nicht nur um Konsum

Bei diesem Phänomen handelt es sich nicht zwangsläufig um Kaufsucht. Es kann auch das sogenannte „Shiny Object Syndrom“ dahinterstecken. Denn das Verlangen, immer etwas Neues, Aufregenderes, noch Besseres – eben ein „shiny“ Erlebnis – zu bekommen, betrifft nicht nur physische Produkte, sondern auch andere Aspekte wie etwa Job oder Hobbies.

Man meldet sich voller Elan zum Yoga-Kurs an. Ab sofort werden Beweglichkeit, Figur und Ausgeglichenheit trainiert. Nach zwei Einheiten nerven die esoterischen Mattennachbarn, der Kurszeitpunkt ist ohnehin ungünstig und die Umkleide stinkt. Beim Pilates ist das sicher besser. Volltreffer: Mit zitternden Muskeln, voller Endorphine und mit einem Zehnerblock in der Tasche verlässt man die erste Stunde. Das ist es doch! Andererseits ist es auch nicht schlimm, wenn dann die übrigen sieben Einheiten doch verfallen, wo man doch in der Zwischenzeit (twinkle, twinkle) das Hobby seines Lebens gefunden hat: Boxen. Professionelle Handschuhe sind bereits bestellt, Rocky 1-27 geben einem den richtigen Kick, jetzt hat man den Sport seines Lebens gefunden. Oder?

SOS ist auch Chefsache

Gerade Unternehmer/innen leiden oft am Shiny Object Syndrom. Neue Tools, die Arbeitsabläufe vereinfachen und Zeit sparen sollen, Technologien, die Einsparungspotenzial versprechen oder die Kommunikation effizienter gestalten, Seminare für mehr Kreativität – jede Chance, sich besser aufzustellen und vom Mitbewerb abzuheben, ist verlockend. Der massive Trend zur Selbstoptimierung tut ein Übriges.

Oft kosten diese Zaubermittel aber mehr Zeit und Geld als sie bringen. Und manchmal droht man sogar, vor lauter Innovation den eigentlichen Weg und das Ziel aus den Augen zu verlieren.

Ein aussichtsloser Marathon

Vielleicht sagen Sie sich jetzt: „Ja eh, aber das ist doch alles gar nicht so schlimm – ist ja keine lebensbedrohliche Krankheit.“ Stimmt natürlich. Aber ein ausgeprägtes SOS kann dazu führen, dass wir frustriert und unglücklich sind. Denn man spielt Abfangen mit der Zufriedenheit. Und verliert immer.

Der anfängliche Endorphinschub lässt rasch wieder nach, weil Motivation und Begeisterung aus externen Quellen stammen – und deshalb auch nicht von Dauer sind. Man hat nie (oder viel zu kurz) das Glücksgefühl, wirklich etwas erreicht zu haben. In dem Moment, in dem sich das Erfolgserlebnis einstellen sollte, hascht man bereits nach dem nächsten Ziel, dem nächsten Paar Schuhe, dem nächsten Projekt. Das Streben nach Glück und Erfolg wird so zu einem aussichtslosen Marathon.

Unter Umständen kann dieser Teufelskreis sogar zwischenmenschliche Beziehungen belasten (Jagd nach Anerkennung) oder zu Geldproblemen führen, weil man ständig in neue Kurse, Tools oder Produkte investiert. Auch im Berufsleben kann SOS sich auswirken: Jobhopper bekommen Probleme, wenn der Lebenslauf allzu umfangreich gerät; im Job wird man sich nicht mit Ruhm bekleckern, wenn Projekte nicht ernsthaft zu Ende geführt werden, weil man sich lieber bereits auf die nächste Herausforderung stürzt.

Der erste Schritt

Selbsterkenntnis ist ja bekanntlich der erste Schritt zur Besserung. Erkennen Sie sich in folgenden Aussagen wieder?

  • Sie reißen viele Baustellen auf, statt eine zu beenden
  • Sie führen kaum etwas wirklich zu Ende
  • Sie stehen selten oder nie auf dem Siegerstockerl, weil Sie (kaum kommt das Ziel in Sicht) bereits das nächste Rennen eröffnen
  • Sie sind selten mit dem zufrieden, was Sie haben
  • Sie stürzen sich voller Begeisterung auf etwas, richten Ihre volle Aufmerksamkeit darauf – und verlieren kurz darauf wieder das Interesse
  • Sie können nur äußerst schwer Nein sagen, wenn Ihr inneres Kind in die Hände klatscht

Falls hier mehr als eine Aussage zutrifft, könnte es sich um ein Shiny Object Syndrom handeln. Keine Sorge: So lange es nicht ausartet, lässt sich durchaus auch positiver Profit daraus ziehen. Denn neue Ideen und Veränderungsvorschläge kommen bei vielen Chefs gut an (zumindest, wenn sie auch realisiert werden) und offen für Neues zu sein, ist ebenfalls gut. Wer aber doch „SOS“ schreit – hier sind einige Tipps, wie man gegen das Syndrom ankämpft:

  • Vergleichen Sie sich nicht ständig mit anderen – fokussieren Sie lieber auf das, was ist, statt fragwürdigen Idealen hinterherzujagen
  • Halten Sie fest, was bereits „shiny“ ist in Ihrem Leben – was haben Sie schon (erreicht)?
  • Wägen Sie die Nebenwirkungen ab (Geld, Zeit, Mühen, Opfer usw.)
  • Atmen Sie tief durch, wenn das innere Kind wieder mal kreischt – notieren Sie Ihr Shiny Object, aber lassen Sie den Wunsch erst mal sacken – wollen Sie es wirklich unbedingt?
  • Nageln Sie sich selbst fest – erzählen Sie Freunden, Kollegen und Familie davon und überlegen Sie sich evtl. sogar einen „Wetteinsatz“. Wenn ihnen das Object diesen nicht wert ist, ist es auch nicht wichtig genug
  • Hinterfragen Sie Marketing-Gags mit Hausverstand: revolutioniert der neue Flatscreen wirklich das TV-Erlebnis? Macht Sie der x-te Social-Media-Kurs wirklich zum Influencer des Jahres?
  • Behalten Sie das Ziel im Auge – wofür ist die nächste Errungenschaft gedacht und bringt sie für Ihr Ziel tatsächlich etwas?