Halloween: Wo sich die Geister scheiden

Für die einen ist es ein süßer Brauch, den anderen stößt er sauer auf. Ein Pro & Contra zum 31. Oktober.


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PRO: Halloween – eine nicht ganz ernste Kulturgeschichte

Spätestens, wenn die Tage wieder kürzer werden und graue Nebelschwaden nicht nur den morgendlichen Start in den Tag, sondern auch das Nachhausekommen begleiten, hält die Herbstdepression wieder Einzug in unser Leben.

Doch bereits die alten Kelten wussten: Hier kann ein deftiges Festl Abhilfe schaffen und müde Lebensgeister durch dezentes Zuführen vergorener Ernte wieder beleben! Und so legten sie ihr Neujahr just an den Novemberanfang. (Wir unterstellen an dieser Stelle, dass die alten Kelten ihr Neujahr dann auch so wie wir unser Sylvester zu feiern wussten.)

Erst die christlich-katholischen Allerheiligen- und Allerseelen-Feiertage stürzten der Selbstmörder liebste Jahreszeit endgültig ins novembergraue Stimmungstief. Zu freuen hatte man sich gefälligst ausschließlich nur auf die Ankunft des Herrn am 24.12.!

Doch das indigene lateinamerikanische Volk ließ sich auch von gestrengen Katholen nicht seiner guten Laune berauben (sie hatten dazu bei novemberlichen 30 Grad und Dauersonnenschein auch keinen Grund dazu) und so pflegten sie die Erinnerung an ihre lieben Verstorbenen in bester Partystimmung und mit angenehm gruseliger Dekoration direkt am Friedhof. Für Speis und hochprozentigen Trank ward mehr als ausreichend gesorgt. 

Die nordamerikanischen Touristen waren zuerst empört, dann begeistert. Sie besannen sich ihrer irischen Vorfahren, stellten Jack O’Lantern in die Vorgärten und erfanden ihren Kindern gar allerliebste Verkleidungen und gesellige Spiele, die dank filmischer Populärkultur („Halloween“; „Trick or Treat“) ihren Weg auch rasch zurück auf den alten Kontinent fanden – und damit ironischerweise ausgerechnet in die Heimat jener novemberlich Neujahr feiernden Kelten, die das Party-feiern im Kampf gegen den Winterblues erfunden hatten.

Und so ist ein schöner Brauch zurückgekehrt, der uns eine fundierte Ausrede für gruselige Dekorationen, verrückte Verkleidungen und ausschweifenden Alkoholkonsum im Kreise der lieben Familie (tot oder lebendig) liefert. Und mit den Vorbereitungen und Nachwehen ist die Depression zumindest zwei Wochen lang vergessen. Prost!

[E. Ryba]

CONTRA: Kürbis-Kitsch für die Fun-Gesellschaft

Am Abend des 31. Oktober gehe ich seit Jahren nicht aus dem Haus. Ich lehne sämtliche Einladungen ab. Ich bleibe daheim, stelle den Fernseher so leise, dass man ihn im Stiegenhaus auf keinen Fall hören kann und öffne die Tür nicht. Zugegeben: So ähnlich verhalte ich mich auch, wenn die Sternsinger unterwegs sind. In diesem Fall aber verbarrikadiere ich mich nicht, weil ich auf den Geruch von Weihrauch allergisch reagiere – sondern wegen Halloween.

Ja, ich bekenne: Ich bin ein Halloween-Grinch. Ich hasse den Kürbis-Kitsch in den Geschäften. Ich will nicht als sexy Hexy oder Ekel-Zombie verkleidet mit betrunkenen Erwachsenen in einer Bar herumhängen. Und ich find’s auch nicht süß, wenn kleine Hexen und Kobolde an meine Tür hämmern und „Süßes oder Saures“ verlangen. Mein Versuch, dem mit Humor zu begegnen (und ein Glas Essiggurken auszuhändigen), kam gar nicht gut an. Und da ich nicht noch einmal Eier-Matsch an meiner Tür haben möchte, mache ich diese eben gar nicht mehr auf.

Warum mich das so nervt? Weil ich noch nicht in der Wir-saugen-alle-amerikanischen-Einflüsse-wie-ein-Schwamm-auf-Gesellschaft groß geworden bin. Weil ich mir immer wieder vorkomme wie in einem Hollywood-Film (aber im falschen). Bei dem keiner weiß, worum es eigentlich geht. Und trotzdem jeder mitspielt. Weil’s für mich noch immer die Nacht vor Allerheiligen ist. Mit Friedhof, Kerzen, Maroni und Allerheiligenstriezel. DAS ist unser Brauch. Und er steht im krassen Gegensatz zur Fun & Event-Gesellschaft. 

Anfangs – also vor gut 20 Jahren – standen viele den neuen Gepflogenheiten eher skeptisch gegenüber. Inzwischen ist die anfängliche Skepsis weitgehend der allgemeinen Konsumfreudigkeit gewichen. Viele können den dekorativen Kürbissen, den schwarz-orangen Cupcakes, Gespensterfiguren (etc. etc.), die allerorten zum Kauf angeboten werden, nicht widerstehen.
Und da ist wohl auch der Pudel schon auf den Kern getroffen: Was sich mit käuflicher Dekoration und Kostümen, Rezepten, Spaß und Partys ummanteln lässt, ist potenziell eventfähig und somit willkommen.

So kommt es auch, dass das Christkind längst Konkurrenz vom Weihnachtsmann bekommen hat. Weihnachtsmänner in allen Farben an allen Ecken, Bärte und Anzüge als Kostüm, Weihnachtsmänner als Plastikfiguren zum Kaufen. Hohoho – der Pudel lässt grüßen. Das Christkind ist einfach nicht so konsumtauglich wie sein bärtiger Kollege. Aber das soll in einem anderen Pamphlet besprochen werden.

Freilich: Nicht jeder kann mit Friedhöfen, Besinnung und stillem Gedenken etwas anfangen. Das verstehe ich. Man muss Brauchtum nicht mittragen. Kinder verkleiden sich gerne und wollen Spaß haben. Will man sie zum Außenseiter machen? Nein. Auch das verstehe ich. Es geht mir nicht um ein engstirniges Ablehnen neuer Bräuche. Oder darum, dass Bräuche nicht lustig sein dürfen. Tatsächlich geht es nicht einmal um Halloween an sich. Halloween ist nicht die Krankheit, sondern ein Symptom.
Denn was ich wirklich nicht verstehe, ist, dass wir unsere eigenen Traditionen vergessen. Und uns stattdessen zu Tode amüsieren (in stillem Gedenken an Neil Postman). 

[V. Scheidl]